Energie-Experte Dr. Manfred Scholle: „Wirtschaftlich und klimapolitisch kann ich eine Vergabe der Konzession an das Land Berlin nicht nachvollziehen.“

Dr. Manfred Scholle im Interview über die Vergabeentscheidung des Senates zur Gasnetzkonzession.

Was war Ihre spontane Reaktion, als Sie von der Vergabe der Gaskonzession an das landeseigene Unternehmen „Berlin Energie“ erfuhren?
Dr. Manfred Scholle: Ich war erstaunt, da die Gasag ein Unternehmen ist, das sich trotz privater Gesellschafter auch an kommunalen Interessen des Landes Berlin orientiert. Ich frage mich, ob das Land Berlin dieses Geld und die politische Kraft nicht viel nötiger braucht, um sich den eigentlichen Herausforderungen zu stellen.

Spielt es klimapolitisch eine Rolle, ob die Gasag oder „Berlin Energie“ den Zuschlag für die Konzession erhält?
Dr. Manfred Scholle: Ich sehe den Vorteil bei der Gasag. Die Gasag als reines Erdgasunternehmen weiß, dass es nur durch die Verdrängung anderer fossiler Energien wachsen kann. Verkauft die Gasag mehr Gas, kann das Unternehmen auch die Netze ausbauen und auslasten. Das ist für das Klima in Berlin gut. Im Interesse des Klimas sollten wir ein gutes Gasunternehmen in der Region stärken, nicht schwächen.

Berlin will bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Macht es da Sinn, ein neues landeseigenes Gasunternehmen aufzubauen, in das eine Milliarde Euro investiert werden muss?
Dr. Manfred Scholle: Wirtschaftlich und klimapolitisch kann ich eine Vergabe der Konzession an das Land Berlin nicht nachvollziehen. Für die Milliarde Euro müssen Zinsen gezahlt werden, die nach zehn bis zwanzig Jahren auch höher ausfallen können als heute. Das Geld müssen die Netze erst erwirtschaften, auch wenn immer weniger Gas verbraucht werden sollte, zum Beispiel durch mehr Wärmedämmung.

Ist das typisch Berlin?
Dr. Manfred Scholle: Ich bin meiner Heimat Berlin zu sehr verbunden, um das zu bejahen. Jedem Verantwortlichen in der Stadt muss ich aber sagen, dass die Zeiten, in denen man ganze Netze übernehmen kann, schon lange vorbei sind. Bei der Übernahme des Wassers hat Berlin richtig gehandelt. Wasser und Energie müssen aber unterschiedlich beurteilt werden. Beim Wasser besteht bei Netz und Produkt ein Monopol. Beim Gas gibt es zwar ein Monopolnetz, aber in Berlin haben wir immerhin ca. 250 Gasanbieter und der Verbraucher kann sich auch entscheiden, den Energieträger gänzlich zu wechseln. Nachhaltigkeit und Vertrauen spielen beim Wasser eine ganz besondere Rolle, da die Qualität des Wassers von laufenden Investitionen in das Verteilnetz abhängen; wenn ich heute nicht investiere, merke ich erst nach zehn Jahren Qualitätsbeeinträchtigungen bei unserem Lebensmittel Nummer 1. Wasser ist und bleibt eine klassische öffentliche Pflichtaufgabe. Bei Strom- und Gasnetzen sagt die Regulierungsbehörde, was investiert werden darf.

Was würden Sie dem Land Berlin in der derzeitigen Situation raten?
Dr. Manfred Scholle: Als Verantwortlicher in Berlin würde ich mich mit den Gesellschaftern der Gasag zusammensetzen, um zu erreichen, dass Berlin oder eine Gesellschaft der Stadt sich mit 25 Prozent an der Netzgesellschaft beteiligt. Wenn man sich so aufstellt, hätte man in der ganzen Region auch Wachstumschancen.

Dr. Manfred Scholle war u.a. beim Regierenden Bürgermeister und beim Wirtschaftssenator in Berlin tätig. Er ist als ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Gelsenwasser AG – einem kommunalen Unternehmen – vertraut mit der kommunalen Erdgas- und Wärmeversorgung in Deutschland.