Dr. Hermann Borghorst im Interview über die Senatsentschiedung, die Gasnetzkonzession an das landeseigene Unternehmen „Berlin Energie“ zu vergeben.
Was war Ihre spontane Reaktion, als Sie von der Vergabe der Gasnetzkonzession an das landeseigene Unternehmen „Berlin Energie“ erfuhren?
Dr. Hermann Borghorst: Ich war sehr überrascht, dass ein junges, im Aufbau befindliches, öffentliches Unternehmen ein starkes, etabliertes, erfahrenes und kompetentes Unternehmen aus dem Rennen wirft. Das beschwört zwangsläufig Konflikte und rechtliche Auseinandersetzungen herauf. Da ich in den 90er Jahren als Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin an den Privatisierungsdebatten und -entscheidungen beteiligt war, wundere ich mich über das Streben des Berliner Senats, fast komplett die vorgenommenen Privatisierungen zurücknehmen zu wollen, nicht nur bei Wasser und Strom, sondern auch bei Gas. Das erscheint mir nicht sinnvoll und zielführend, noch managebar und finanzierbar. Und ein gewachsener, traditioneller Konzern wird zerschlagen.
Was bedeutet es klimapolitisch, dass Berlin die Gasnetzkonzession an Berlin Energie vergeben will statt an die Gasag?
Dr. Hermann Borghorst: Ich kann klimapolitisch keinen Vorteil erkennen, dass Berlin Energie die Gaskonzession erhält. Berlin hat und arbeitet an einem Energie- und Klimaschutzprogramm, das vor allem auch die Energieversorger einbezieht. Gleiche Rahmenbedingungen gelten für alle. Ein öffentliches Unternehmen muss da nicht besser sein als ein privates. Außerdem sind Kooperationen und Partnerschaften zur Erreichung der Klimaziele wichtiger.
Die Vergabe der Gasnetzkonzession ist nicht nur politisch, sondern auch rechtlich mehr als umstritten. Ist das rechtliche Risiko für das Land Berlin beherrschbar?
Dr. Hermann Borghorst: Rechtsstreitigkeiten lassen sich manchmal nicht vermeiden. Das ist häufig so, wenn einer gewinnt und einer verliert. Im konkreten Fall der Vergabe der Gasnetzkonzession scheint mir das rechtliche Risiko für das Land Berlin nicht beherrschbar. Es kann einen langen quälenden Rechtsstreit geben. Das ist nicht gut für das Image des Wirtschafts- und Investitionsstandortes Berlin. Kompromisslosigkeit führt selten zu einem guten Ergebnis.
Würden Sie sagen: Typisch Berlin?
Dr. Hermann Borghorst: Nein, Berlin kann auch anders. Gute Lösungen dürfen nicht an politischen Machtkämpfen und Grundsatzdebatten scheitern. Berlin hat eine wachsende Wirtschaft und ist Hauptstadt und weltoffene Metropole. Berlin kann mehr. Berlin kann wieder eine starke europäische Wirtschafts- und Industriemetropole werden, offen für internationale Investoren und Partner sowie bereit und fähig für innovative Entwicklungen. Das schafft und sichert auch qualitativ gute Arbeitsplätze.
Was würden Sie dem Land Berlin in der derzeitigen Situation raten?
Dr. Hermann Borghorst: Es gibt ein gewachsenes Energieunternehmen Gasag mit drei wichtigen international tätigen Eigentümern Eon, Gaz de France und Vattenfall. Es gibt die Absicht des Berliner Senats, wieder mehr Einfluss auf
die Versorgungsunternehmen zu bekommen. Es macht keinen Sinn, internationalen Investoren mit einem knappen Vergabeergebnis die unternehmerische Grundlage zu entziehen. Der Senat sollte auf eine Verhandlungslösung mit dem Ziel setzen, eine Beteiligung an der Gasag zu erhalten, eine Beteiligung direkt des Landes Berlin oder der „Berlin Energie“. Dadurch können das Unternehmen Gasag und die vielen guten Arbeits- und Ausbildungsplätze gesichert werden. In diesen Prozess sollten die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen sehr frühzeitig einbezogen sein.