Konzernbetriebsratsvorsitzender Andreas Otte darüber, dass sich der Senat wie eine Heuschrecke verhält und ein gut funktionierendes Unternehmen mit 1800 Beschäftigten ohne Not in Gefahr bringt.
Wo waren Sie, als Sie die Nachricht erhielten, dass der Gasag die Konzession für das Gasnetz entzogen werden soll?
Andreas Otte: Ich hatte Urlaub und saß zu Hause auf der Couch. Ich las gerade eine Biografie über Konrad Adenauer. Dann kam der Anruf vom Vorstandsvorsitzenden.
Wie war Ihre Reaktion?
Andreas Otte: Zuerst dachte ich, man will mich veräppeln. Vor der Entscheidung hatte ich mit vielen Politikern gesprochen und die Reaktion lautete immer: „Mach dir keine Sorgen.“ Nun fühlte ich mich auf einmal ziemlich geklatscht.
Wie haben Sie es Ihrer Familie beigebracht?
Andreas Otte: Ich habe nur gesagt: „So ein Mist.“
Wie erklären Sie sich, dass es so gekommen ist?
Andreas Otte: Es ist schwer zu verstehen. Das hat sich zunächst der Finanzsenator, der Herr Nußbaum, so in den Kopf gesetzt. Ich hatte das Gefühl, der lädt Leute in seinen Garten zum Grillen ein, erzählt denen, was er vor hat und die anderen sagen, okay machen wir so. Dabei weiß ich, so kann das nicht gewesen sein. Aber viele Fachleute sagen zu der Entscheidung des Senats: so ein Blödsinn.
Ist es nicht legitim, dass die Stadt die Kontrolle über das Gasnetz selbst übernehmen will?
Andreas Otte: Einige wollen offenbar vom Kuchen der Gasag das fetteste Stück abhaben. Das Land Berlin verhält sich meines Erachtens durch Herrn Nussbaum nicht anders als eine Heuschrecke, die das Lukrativste aus einem Unternehmen herausbricht und den Rest zurücklässt.
Übertreiben Sie nicht etwas?
Andreas Otte: Die Gasag ist wie ein gut funktionierender Organismus. Mit Armen, Beinen, Gehirn, Muskeln, Blutbahnen. Und auf einmal reißt jemand aus diesem Organismus die Arterien aus. Und sagt: Stell dich nicht so an. Leb mal schön weiter. So ist es, wenn der Senat uns das Gasnetz nimmt. Wir sind dann eine bloße Hülle.
Dann hat der Energieexperte der Linken, Harald Wolf, also recht, wenn er ihr Unternehmen ohne das Gasnetz als „wertlos“ bezeichnet?
Andreas Otte: So weit würde ich nicht gehen, aber unser Unternehmen wäre in der Tat bedroht. Und dabei geht es ja nicht um ein Konstrukt, um Gebäude, um Gasleitungen. Es geht um Menschen. 1.800 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
„Berlin Energie“ behauptet, die Beschäftigten, die mit dem Gasnetz zu tun haben, würden übernommen.
Andreas Otte: Es werden die Mitarbeiter übernommen, die unmittelbar für das Gasnetz zuständig sind. Aber was ist z. B. mit Dienstleistungen der Gasag-Gruppe? Die Unsicherheit ist groß. Es ist zum aus der Haut fahren: Wir sind eines der letzten Berliner Traditionsunternehmen. Wir sind erfolgreich. Ich kann nicht nachvollziehen, warum man ohne Not ein Unternehmen in Gefahr bringt, in dem Generationen von Berlinerinnen und Berlinern gearbeitet haben.
Das nennt man Wettbewerb. Die „Berlin Energie“ hat sich nun mal im Bieterverfahren durchgesetzt. Der bessere Wettbewerber gewinnt – oder etwa nicht?
Andreas Otte: Wenn die anderen wirklich besser wären, dann o.k., aber wie soll ein virtuelles Unternehmen mit ein paar Beschäftigten besser sein, als ein 170 Jahre altes Traditionsunternehmen mit 1.800 Leuten, das nachweislich einen guten Job macht? Bisher haben diese wenigen Leute nur nachgewiesen, dass sie gut darin sind, ein Angebot zu schreiben. Unsere Leute dagegen betreiben das Gasnetz und kennen es in- und auswendig.
Sind Sie schlechte Verlierer?
Andreas Otte: Wenn Hertha 4:0 gewinnt und die Gegner sagen, das ging nicht mit rechten Dingen zu, dann sind das schlechte Verlierer. Wir aber wissen genau, dass wir besser sind als unsere Wettbewerber.
Warum?
Andreas Otte: Seit Jahrzehnten versorgen wir Berlin zuverlässig mit Gas. Wir sind ein anerkannt soziales und umweltbewusstes Unternehmen. Wir bieten gute Arbeitsbedingungen, fragen Sie mal unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir sind tief in dieser Stadt verankert, wie unser Engagement für die Neuköllner Oper oder die Eisbären zeigt. Das Wichtigste aber ist: die Berlinerinnen und Berliner können sich mit uns darauf verlassen, dass die Versorgung mit Gas reibungslos läuft und ihre Wohnungen immer warm bleiben.
Die „Berlin Energie“ behauptet, sie kann das preiswerter als Sie.
Andreas Otte: Wie soll das gehen? Die Bundesnetzagentur hat unserem Gasnetzbetrieb eine 100 %-ige Effizienz bescheinigt. Das kann man nicht steigern. Außerdem muss der Senat voraussichtlich 1 Milliarde in die „Berlin Energie“ investieren. Bei einer Gewinnspanne von zurzeit 50 Millionen € pro Jahr, dauert es 20 Jahre, bis diese Kosten wettgemacht werden können. Aber wer sagt denn, dass der Gasverbrauch so bleibt? Und ist es sicher, dass die Bundesnetzagentur die Gewinne auf dem heutigen Niveau weiter zulässt? Experten zweifeln daran. Die Heizungstechnik verändert sich. Die Dämmung wird besser, die Fenster werden dichter. Wir werden in Zukunft deutlich weniger Gas verbrauchen. Der Senat wäre besser beraten, wenn er die eine Milliarde in die energetische Gebäudesanierung investieren würde.
Rekommunalisierung liegt nun mal im Trend. Können Sie das nicht nachvollziehen?
Andreas Otte: Das ist doch kein Selbstzweck. Es muss sich lohnen. Außerdem muss es rechtlich korrekt zugehen. Und dass daran Zweifel bestehen, findet selbst das Haus von Justizsenator Heilmann. „Berlin Energie“ hätte demnach nicht einmal an der Ausschreibung teilnehmen dürfen. Jedes Unternehmen, das sich um etwas so Wichtiges und Sensibles wie die Gasversorgung bewirbt, sollte nachweisen müssen, dass es solch eine wichtige Aufgabe überhaupt stemmen kann. Nur „Berlin Energie“ brauchte das offenbar nicht.
Ihr Fazit?
Andreas Otte: Es klingt vielleicht altmodisch, aber dazu, was der Senat mit der Gasag veranstaltet, sage ich: Das macht man einfach nicht! Und deshalb werden wir mit aller Macht kämpfen: für unsere 1.800 Beschäftigten, für ein gelungenes Beispiel Berliner Unternehmenskultur, für die sichere Versorgung mit Gas. Ich hoffe, möglichst viele Berlinerinnen und Berliner unterstützen uns dabei.